Schwäbische Zeitung 10.5.2016
Weich wie schmelzende Schokolade
Tine Thing Helseth und die Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben im Tettnanger Barockschloss
Von Werner M. Grimme/ TETTNANG

Kurz vor Konzertbeginn zogen noch einige Regenwolken am Himmel vorüber. Im letzten Moment gab es dann doch Entwarnung. Die sicherheitshalber auf der Orchesterbühne angebrachten Schirme wurden entfernt. Palmen im Innenhof des Tettnanger Barockschlosses suggerierten sogar eine südliche Atmosphäre. Auf dem Programm stand indessen hauptsächlich Musik nordischer Komponisten. Das Konzert fand nämlich im Rahmen des Bodenseefestivals statt. Dessen Motto lautet in dieser Saison „Nordlichter”.
Ein „Nordlicht” ist auch die junge Trompeterin Tine Thing Helseth, die hier als Solistin bei Johann Nepomuk Rummels berühmtem Konzert EsDur auftrat. Sie stammt aus Norwegen und macht seit zehn Jahren weltweit Karriere. Beim diesjährigen Bodenseefestival vertritt sie als „Artist in Residence” die skandinavischen Gastländer. Zum Auftakt des Tettnanger Konzerts spielte die Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben (KBO) unter der Leitung des exzellenten Dirigenten Thomas Dorsch die erste „Peer Gynt”-Suite von Edvard Grieg.
Die vier Sätze aus Griegs Schauspielmusik zu Henrik Ibsens gleichnamigem Drama stimmten mit stellenweise fast schon impressionistischen Farbmischungen auf Helseths Heimat ein. Zauberhaft entfalteten die Holzbläser bei der beliebten „Morgenstimmung” ihr naturhaftes Klangpanorama mit wiegender Flötenmelodie. Auch bei „Ases Tod”, „Anitras Tanz” und „In der Halle des Bergkönigs” gelangen schön modellierte Bilder in Tönen. Dorsch behielt die Fäden des Geschehens mit minimalem Bewegungsaufwand stets sicher in den Händen.
Gebannt folgte das Publikum dem kuitivierten Spiel des Orchesters. Bei extrem leisen Streicherpassagen hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Dorsch erwies sich als erfahrener Pultmagier, der seine bis in kleinste Details ausgereifte Vorstellungen mit äußerst differenzierter Zeichengebung suggestiv vermitteln kann. Selbst unter Freiluftbedingungen erreichte er mit der KBO einen erstaunlich ausbalancierten Gesamtklang.
Gute-Laune-Musik
Barfuß im weißen Sommerkleidchen blies Tine Thing Helseth den virtuosen Solopart von Rummels Trompetenkonzert. Das frühe Nebenwerk des Schülers von Mozart, Salieri und Haydn wartet gelegentlich schon mit Schubert’schem Tonfall auf. Es ist 1803 für den Trompeter Anton Weidinger entstanden, der mit seiner damals neu entwickelten Klappentrompete auch chromatische Skalen in tieferen Lagen möglich gemacht hatte. Helseth spielte mit berührender Phrasierung und fein dosierter Agogik.
Souverän zogen federnde Synkopen, aberwitzig schnelle Tonrepetitionen und delikat markierte Vorschlagsnoten am Ohr vorüber. Weich wie schmelzende Schokolade strömte die melancholisch verschattete Kantilene des ernsten Mittelsatzes mit langem Atem aus Helseths Ventiltrompete. Das technische Feuerwerk des Rondo-Finales zündete die Norwegerin so brillant, als sei diese reine Gute-Laune-Musik in ihrer unbeschwerten Fröhlichkeit und sonnigen Beschwingtheit schon auf dem Weg zu Rossini.
Als stimmungsvolle Zugabe ließ Helseth das norwegische Lied „In einsamen Stunden” folgen. Bewundernswert meisterte die KBO nach der Pause die erste Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius. Vom berühmten Beginn der Soloklarinette über Paukengrummeln bis zum markanten Schluss hat Dorsch das schwierige Werk mit seinen lapidaren Gesten und abrupten Farbwechseln plastisch erarbeitet. Die großartige Interpretation machte bewusst, welch einen Schatz die Region an diesem Orchester hat. Sie sollte ihn hüten.

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Südkurier 10.5.2016
Tine Thing Helseth ist am See angekommen

Bodenseefestival: Die Trompeterin begeistert bei der ausverkauften “Sinfonie im Innenhof” in Tettnang mit Hummels Trompetenkonzert. Glänzend besteht Thomas Dorsch die Feuerprobe als Dirigent der KBO

Einen glanzvollen Einstieg als neuer Dirigent feierte Thomas Dorsch bei der Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben. In der schon traditionellen „Sinfonie im Innenhof“ als Abschluss des „Lebendigen Barockschloss Tettnang“ erlebte man am Sonntag den Musikdirektor vom Theater Lüneburg als gestaltenden, sehr umsichtigen Impulsgeber.
In ausgewogener Balance traten die vielen Solostellen über den Akkordblöcken mit pastoraler Tongebung in der „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg aus der „Peer Gynt Suite“ hervor. In den reinen Streichersätzen „Ases Tod“ und „Anitras Tanz“ bewunderte man das homogene Klangbild, die feinsten dynamischen Abstufungen bis zur verklingenden Schlussfermate. Angeführt von Konzertmeister Professor Ulrich Gröner entwickelte sich im „Tempo di Mazurka“ mit viel Spielwitz agile tänzerische Leichtigkeit. Bedrohlich, mit geerdeter Tiefe, führten Celli und Bässe zusammen mit den Fagotten in die „Halle des Bergkönigs“. Viel Wert legte Dorsch auf das nach und nach lauter und schneller Werden – um „Piu vivo“ mit intensiven Tremoli in hoher Lage der Streicher den Überfall der Trolle auf Peer Gynt plastisch auszukosten.
Nun ist Tine Thing Helseth als „Artist in Residence“ beim Bodenseefestival wirklich angekommen. In dieser letzten Woche findet fast jeden Tag rund um den See ein Konzert mit der norwegischen Trompeterin statt. In Tettnang gab es Tine Thing hautnah: Kleiner Fan-Club bei der Probe am Samstagmorgen, nachmittags kleiner Stadtbummel, Sonntagnachmittag Auftritt beim Kinderkonzert.

Mit dem Trompetenkonzert von Johann Nepomuk Hummel stand am Abend eines der bekanntesten Solokonzerte auf dem Programm. Nach der klassischen Orchestereinleitung bestimmte Helseth mit glasklaren fanfarenartigen Motiven das Geschehen. Ansatzlos, graziös das gegensätzliche zweite Thema mit leichten Umspielungen von Oboe und Violinen. Wunderschön der behutsame Einstieg in das folgende Andante über samtener Orchesterbegleitung. In langem Atem, mit einnehmender Phrasierung und verspielten Verzierungen verzauberte Helseth das Publikum.
Scheinbar mühelos feierte die Solistin im Rondo zusammen mit dem flexibel reagierenden Orchester den hochvirtuosen letzten Satz. Viel verdienter Beifall im ausverkauften Innenhof!
Mit ihrer Themenvielfalt bildet die Sinfonie Nr. 1 von Jean Sibelius eine große Herausforderung für Dirigent und Orchester. Aber schon mit dem paukenbegleiteten Klarinettensolo in der Einleitung legte Lennard Ellwanger die Grundlage für eine in sich geschlossene Interpretation. Immer wieder gelang es Dorsch, die rhapsodischen Entwicklungen zu bündeln und behutsam aufbauend zu bombastischen Höhepunkten zu führen.
Klarste Struktur war in den vertrackten rhythmischen Stellen und der verwobenen Abschnitten zu hören. Auf hohem Niveau agierte der Streicherapparat mit emphatischen Kantilenen, kurzen Motivdurchläufen, ausdrucksstarken Soli oder zartem Pizzicato. Sauber intonierten die Hörner die geforderten Naturstimmungen. Solistisch oder als ganze Gruppe trat die gesamte Holzbläsergruppe selbstsicher in den Vordergrund. Trompeten, Posaunen und Tuba gaben dem Tutti-Klang den nötigen strahlenden Glanz. Mit seiner klaren Zeichengebung gelang es Dorsch, die vielen kleinen Klangfarbenmischungen der glänzenden Orchestrierung zum Blühen zu bringen.
Nach einer letzten emphatischen Streicherkantilene mit berauschendem Tutti führt die Soloklarinette an den Anfang zurück. Reichhaltiger Beifall für ein beeindruckendes Konzert.

Südkurier 10.5.2016

Schwäbische 9.5.2016
Christel Voith
Mit spielerischer Virtuosität tanzt die Trompete
Kinderkonzert im Schlosshof mit „Artist in Residence“ Tine Thing Helseth

Kinderkonzert im Schlosshof: Dirigent Thomas Dorsch geht mitten hinein ins Publikum, um Antworten der Kinder hervorzulocken.
Kinderkonzert im Schlosshof: Dirigent Thomas Dorsch geht mitten hinein ins Publikum, um Antworten der Kinder hervorzulocken. Helmut Voith
Tettnang sz Auch wenn es erst gar nicht danach ausgesehen hat: Das Kinderkonzert der Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben (KBO) im vollen Schlosshof ist zur Freude aller Beteiligten tatsächlich bis zum Ende durchgelaufen.

Prüfende Blicke an den Himmel, einzelne Tropfen, fliegende Notenblätter – eilig werden zusätzliche Sonnenschirme hergebracht und über den Musikern und ihren empfindlichen Instrumenten aufgespannt. Bloß die Blechbläser müssen unter freiem Himmel bleiben. Dirigent Thomas Dorsch ist zuversichtlich. Zum Publikum sagt er: „Ihr sagt mir Bescheid, wenn’s zu nass wird.“ Und zu den Musikern: „Wem’s zu nass wird, der darf gerne aufhören – die wichtigsten Instrumente müssen da bleiben.“

Sie fangen wirklich an zu spielen und die Wolken spielen Katz und Maus. Schon breiten sich neue Tropfen auf der Hose aus. Dorsch guckt unterm Schirm hervor: „Ja, es geht.“ Ein kleiner Strahlemann büchst immer wieder aus, wandert vor und wird wieder eingefangen. Dorsch erzählt den Kindern von Peer Gynt, denn auf dem Programm steht Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite Nr.1. Er erzählt von der unglaublichen Leichtigkeit in Anitras Tanz, leicht und luftig spielen die Streicher, die Tropfen werden wieder größer, die Aufmerksamkeit ist geteilt.

Startrompeterin tritt barfuß auf
„Ihr müsst überlegen, was diese Musik erzählt“, sagt Dorsch – und eine sehr traurige Weise erklingt. Traurig? Moll-Tonart? Peer Gynt trauert, die Mutter stirbt. Über dem Schlosshof wird’s heller, ein Sonnenstrahl fällt herein, passend zu den Zwergen und Gnomen, die jetzt von Fagotten, gezupften Bässen und „gestopften“ Hörnern zum Leben erweckt werden und immer rasanter stampfen und tanzen.

Der Himmel ist wieder blau geworden, Johann Nepomuk Hummels berühmtes Trompetenkonzert Es-Dur ist angesagt und mit ihm Star-trompeterin Tine Thing Helseth, „Artist in Residence“ des Bodenseefestivals. „Tine, magst du zu uns kommen?“, ruft Dorsch zum Café hinüber – und schon huscht sie über den Hof, im duftigen cremefarbenen Kleid und barfuß: „Keine Schuhe, ist Sommer“, sagt sie vergnügt. Gerne führt sie ihr Instrument vor, versucht zu erklären, wie sie darauf den Kammerton spielt, erst auf Deutsch, dann verfällt sie ins Englische. Doch wenn sie spielt, versteht sie auch der jüngste Zuhörer.

Organisch wächst ihr Ton aus dem Orchester, das der Dirigent in der richtigen Balance hält. Rein und geschmeidig, weich und warm und dann wieder strahlend ist ihr Ton, betörend schön, mit wunderbarem Piano, wunderbaren Crescendi. Vor dem zweiten Satz zeigt sie den Kindern, wie die Triller entstehen, vor dem dritten führt sie die Doppelzunge vor. Und schon kommt, um mit Dorsch zu sprechen, „die Post herangerast“. Dabei tanzt die Trompete in der Luft – spielerisch kommt Tine Thing Helseths Virtuosität daher.