Der aus Troppau stammende Felix Woyrsch (1860-1944) war, was das Kompositionshandwerk angeht, weitgehend Autodidakt und als Dirigent u.a. der Altonaer Singakademie und des Orchesters des „Vereins Hamburgischer Musikfreunde“ über Jahrzehnte die prägende Figur im Musikleben der bis 1938 selbständigen Großstadt Altona. Obwohl als Interpret durchaus aufgeschlossen gegenüber der sich nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend etablierenden Moderne, blieb er in seinen Werken zeitlebens einer spätromantischen Tradition in der Nachfolge Griegs, Bruckners und Brahms‘ treu.
Nach der düsteren dritten Symphonie sind die beiden folgenden Symphonien Nr. 4 und 5, entstanden 1931 bzw. 1935, freundlicher und heller. Insbesondere die Vierte spielt auch mit zahlreichen musikhistorischen Allusionen, ganz explizit – und nicht ohne Augenzwinkern – im dritten Satz (Menuett im Rokokostil mit Variationen), der an entsprechende Stücke von Grieg, Reger oder Richard Strauss erinnert. Formal orientiert sich Woyrsch zwar stark an den naheliegenden Vorbildern, hat aber immer wieder im Detail unkonventionelle, einen doch ganz individuellen Stil prägende Ideen. Die Arbeit in den Ecksätzen ist weniger thematisch als eine dauernde Metamorphose des motivischen Materials, hier seelenverwandt mit Brahms; die langsamen Sätze berufen sich eher auf Brucknersche Modelle. Nicht nur die Fugato-Passagen im Finale der vierten Symphonie kennzeichnen Woyrsch auch als überlegenen Kontrapunktiker. Dabei ist die nie ausufernde Instrumentierung absolut meisterhaft, durchsichtig und äußerst charmant, hierin schon dem 19. Jahrhundert entwachsen und auf der Höhe der Zeit, zumindest im Vergleich mit anderen, ebenfalls der Tonalität verpflichteten Komponisten.
Obwohl mit großem Erfolg uraufgeführt, sind die beiden Symphonien erst in Vorbereitung dieser Einspielungen 2015-16 im Druck erschienen. Thomas Dorsch hat die NDR Radiophilharmonie aus Hannover zur Verfügung und wird den Werken in allen Feinheiten gerecht. Die sensiblen Schwankungen zwischen immer noch vorhandener Frische – Woyrsch war ja bereits in seinen Siebzigern – und Anklängen von nostalgischer Wehmut kommen wunderbar zur Geltung, die Instrumentation wird völlig durchhörbar abgebildet, das Orchester folgt punktgenau einer insgesamt überzeugenden Agogik. Höhepunkte behalten immer noch die Portion eines auch für Woyrsch typischen nordischen Understatements. Dabei verflacht jedoch keinesfalls die durchgehend befreit wirkende Emotionalität (im Gegensatz etwa zu Brahms), die Dorsch ganz natürlich offenlegt. Der Hörer wird sich dieser reizvollen Musik, die nie langweilt, kaum entziehen können. Die Aufnahmetechnik ist ebenfalls gelungen, neigt aber ein wenig zur Schärfe. Besonders hervorheben muss man den Bookletbeitrag, der, dem Notentext in einer detaillierten Analyse folgend, die Musik verständlich beleuchtet. Hier füllt cpo einmal mehr eine echte Repertoirelücke.
Martin Blaumeiser [13.12.2018]