Landeszeitung Lüneburg
17. November 2017
Von Antje Amoneit
Lüneburg. Von weitem schon sind die farbenreichen Nebelschwaden zu sehen, die an den schiefen Fenstern des Libeskind-Gebäudes auf dem Campus vorbeiziehen. Die Nebelmaschine packt drinnen alles in bläulich wabernde Watte (später löst sie zweimal Alarm aus). Auf dem Boden installierte Scheinwerfer machen aus dem Foyer eine moderne Bühne mit begehbaren Installationen.
Vor einer großen Scheibe im ersten Stock und später überall im Foyer tanzt und interpretiert eine schön kostümierte Ballerina die Musik (Gabriela Luque aus dem Ballett-Ensemble des Theaters) und offenbart elegant Emotionen. Elektronik-Künstler Vincent Maurer sampelt eine sphärische „Opening Atmo“, bis Generalmusikdirektor Thomas Dorsch den Taktstock hebt und die Lüneburger Symphoniker den 2. Satz der „Eroica“ anstimmen.
Gespannt waren wohl alle auf dieses Finale eines fächerübergreifenden Seminars Zusammen mit den Seminarleitern Thomas Dorsch und Prof. Dr. Michael Ahlers kreierten sie das Projekt „StadtRaumKlang“, das auf dieses ungewöhnliche und einzigartige, multimediale, am Ende sehr gelungene sinfonische Konzert im Foyer des Libeskind-Gebäudes hinauslief. Die Aufführung von Beethovens 1804 vollendeter 3. Sinfonie namens Eroica ist im Konzertsaal nichts Ungewöhnliches, doch hier wurden zunächst die drei letzten Sätze frontal zum Publikum geboten. Dann löste sich die konventionelle Sitzordnung auf. Instrumentengruppen verteilten sich im Foyer, das Publikum durfte flanieren und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven lauschen und zusehen.
Um die Sätze der Eroica, deren seinerzeit spektakuläre Form- und Detailneuheit Thomas Dorsch mit Vehemenz hervorhob, rankten sich emphatisch musizierte, brandneue Musikstücke von vier jungen Komponisten der Musikhochschule Hannover. „Vanité“ schrieb die Südkoreanerin Jieun Noh in einer vermeintlichen, musikalisch nachvollzogenen Schaffenskrise mit positivem Ausgang. Robuste Rhythmen, fragile Tonfolgen und raumgreifende Frequenzfolgen stacheln sie als Schaffende und den Hörer an, drei traditionelle Bildobjekte, Tod, Leben und Zeit, quasi akustisch zu abstrahieren und visualisieren. Das klingt sinfonisch wie Vertrautes, das aufrüttelnd frisch belichtet wurde. Der Finne Matti Heininen hält sich an rhythmische und klangliche Versatzstücke aus klassischer Orchestermusik, Großstadtgeräuschen und jazzigem Groove, den er in dem Moment, wo er auftaucht, auch klanglich verändert und insgesamt wieder auflöst.
Örnólfur Pórsson aus Island entfaltet in „Origami“ mathematische Zusammenhänge entlang der Zeitdimension. Er nutzt dafür Zahlenkombinationen, abstrahiert alles bekannt Klingende, negiert Regeln mit kakophonischem Temperament. Zahlenspiele verwendet auch der aus dem Iran kommende Arsalan Abedian, er lässt sich für intuitives Motivspiel Zeit, schichtet weitere musikalische Parameter und lässt sie systematisch in nichtsinfonische Tongebilde aller Art zerbröseln.
Grenzen der Hör-Konventionen eines klassischen Konzerts mit einem künstlerischen zukunftsorientierten Gesamtkonzept zu erweitern beziehungsweise durch Einbeziehung ungewohnter Klang-, Raum-, Licht- oder Zeitfokussierungen zu sprengen, war ein erklärtes Ziel des Projekts. Dass dies auf die positivste Art erreicht wurde, bestätigten nicht zuletzt die Begeisterung und der stürmische Beifall des Publikums.