Landeszeitung Lüneburg 17. Oktober 2017
Lüneburg. „La Prise de la Bastille“ überschrieb Chefdirigent Thomas Dorsch das Meisterkonzert zur Saisoneröffnung: Komponisten, die zuvor für adelige Dienstherr en gearbeitet hatten, eröffnete die Französische Revolution die Chance, als freie Künstler für das bürgerliche Konzerthaus zu komponieren. Dazu gehört der 1834 in Belgien geborene François-Joseph Gos–sec, der sich für die Revolution begeisterte, viel entsprechend kämpferisch orientierte Musik verfasste und bis zu seinem Tode 1824 gefeierter Komponist der neuen Republik blieb. Dazu gehört im deutschsprachigen Raum vor allem Beethoven, der als Pianist und Komponist ein streitbarer freier Künstler war. Chopin als gebürtiger Pole feierte in seinen Klavierkonzerten die Unabhängigkeit der Tasten vom begleitenden Orchester und die Faszination des Virtuosen.
Gossecs Sinfonie c-Moll op. 6/3 wirkte in der dynamisch lebhaften und farbenreich artikulierten Interpretation recht gefällig, und das ist sie ja auch, besonders im Vergleich mit Beethovens Eroica. Thomas Dorsch ließ die Instrumentalisten reizvolle Details auskosten, animierte Streicher und Bläser zu temperamentvollem Dialog und attraktivem rhythmischem Elan.
Die Eroica, deren bis dato nie dagewesene Ausmaße den zweiten Teil des Konzerts füllten, stellt ganz andere Ansprüche. Hier galt es, das traditionelle Grenzen sprengende Konzept Beethovens zu offenbaren. Beethoven vertonte hier seinen berühmten musikalisch-aufklärerischen Optimismus wie kein anderer zuvor, als Anhänger Napoleons und Streiter für die Revolution. Die Widmung zugunsten Napoleons nahm er zurück, als jener sich 1804 selbst zum Kaiser gekrönt hatte. Bereits an Taubheit erkrankt, widmete er seine Musik dem befreiten Menschen, in Erinnerung an Prometheus, dessen Mythos er bereits mehrfach vertont hatte.
Thomas Dorsch verstand es mit konzentriertem Einsatz, das Potenzial seines nicht überdimensionierten Orchesters zu optimieren. Er hielt die Waage zwischen Formstrenge und ausladender emotionsgeladener Leidenschaft in den Nuancen. Das in so vielschichtige und experimentierfreudige Musik gegossene Bild vom irdischen Helden, der zu kämpfen hat, sterben muss, jedoch durch seine Freiheit unbesiegbar bleibt, wurde greifbar. Fein zeichneten die Symphoniker auch die optimistische Heiterkeit der letzten beiden Sätze, die als Musik gewordene Vorfreude auf eine gute Zukunft des befreiten Menschen zu verstehen sind.
Das Klavierkonzert f-Moll op. 21 des 19-jährigen Chopin, trotz seiner „Nr. 2“ das ältere seiner beiden bekannten Klavierkonzerte, stand im Mittelpunkt des Abends: Glänzend disponiert und feinfühlig begleiteten die Lüneburger Symphoniker den Solisten Asen Tanchev. Der erst 25 Jahre alte Pianist aus Sofia ist bereits ein Meister fulminanter Technik. Er gehört zu der Generation bühnenpräsenter Pianisten, denen jedes schnellste Tempo recht ist, die gern mit Karacho in die Tasten greifen, klangsprengend, mit gewaltigem Fortissimo, aber auch schönstes Piano singen lassen können und selten zu hörende Strukturen der Musik hervorzaubern. Chopins Melodien tauchte Asen Tanchev weniger in sehnsüchtig verträumtes Kerzenscheinsentiment, denn in blendend und farbenreich flimmerndes Saallicht, hochvirtuos brillierend. Der begeisterte Beifall forderte eine Zugabe: Rachmaninoffs rasant brausendes Moment Musical op. 16, Nr. 6 in C-Dur.
Von Antje Amoneit