ff Lüneburg.
Am ersten Tag des Kalenders ist die Welt noch in Ordnung — erst recht im Lüneburger Theater. Das Neujahrskonzert, regelmäßig lange vorab ausverkauft, zählt zu den Longsellern des Hauses. Orchesterchef Urs-Michael Theus hatte das Konzert nach Wiener Vorbild einst im Programm etabliert. Für seinen Nachfolger Thomas Dorsch gab es keinen Grund, an dem Bewährten etwas zu ändern. Viele Sträuße, also Johann Strauß (Vater und Sohn), Josef Strauss, dazu Gassenhauer von Franz Lehár bis Emmerich Kálman: Die Zuhörer, durchweg höhere Semester, quittierten jede Ankündigung des Dirigenten mit “aaah” und “oooh” — so ein dankbares Publikum hat man selten.
Marsch und Polka, Schlager und Kaiserwalzer, die Czardasfürstin und Gräfin Mariza, die schöne blaue Donau und das weiße Rössl, da schimmerte die verblichene Pracht der k.u.k. Monarchie noch einmal. Die Lüneburger Symphoniker ließen die berühmten Werke im seidigen Salon-Glanz erstrahlen, “g’schmeidig” würde der Wiener sagen. Kein liebloses Heruntergefiedel oller Kamellen also, sondern echte Interpretationen, verantwortet von Thomas Dorsch, der neben forschem Kavalleriegetrappel unter Donner und Blitz auch feinstes Pianissimo von seinen Musiker(inne)n forderte.
Und natürlich sind da die Solisten: die Mainzer Sopranistin Katja Bördner, von Thomas Dorsch in Mainz entdeckt, und Tenor Karl Schneider, der nun wirklich nicht mehr vorgestellt werden muss. Sie bezauberten ihr Publikum etwa mit dem “Kuss” (“Il bacio”, Luigi Arditi) und “Gern hab’ ich die Frau geküsst” (Lehár) — nun gut, die Themenspannweite der Operette, das räumte Thomas Dorsch ein, ist nicht besonders groß, aber was soll’s: “Die ganze Welt ist himmelblau”, das wissen wir von Ralph Benatzky, und “Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da”, da sind wir uns einig mit Theo Mackeben, auch wenn man/frau es da ein wenig übertreiben kann. So wie es Katja Bördner eindrucksvoll mit der Annen-Polka von Johann Strauß (junior) zeigte, die auch als “Schwips-Lied” bekannt ist — es muss wohl eher ein recht ausgewachsenes Besäufnis gewesen sein, ihrer Stimme hat der Schampus aber offensichtlich nicht geschadet.
Begeisterung, langer Applaus für sie, für Karl Schneider und Thomas Dorsch, der sich am Pult auch als charmanter Moderator bewährte, für die gut aufgelegten Symphoniker. Bei der dritten und letzten Zugabe war es dann so weit: kein Lüneburg-Wiener Jahresauftakt ohne den Radetzky-Marsch. Theus hatte ihn auch schon mal von einem Gast dirigieren oder im Dreiviertel-Takt spielen lassen. Nun wieder das Original, immer wieder eine gute Mitklatsch-Übung, da war das Publikum sofort dabei. Das Leben ist kein Wunschkonzert, aber ein paar solcher Stunden müssen eben einfach ab und zu mal sein.